Designdidaktik

Ein Projekt zur Förderung und Forderung einer Fachdidaktik für die Lehre des Design.

Gedanken zur Designlehre

Wie lernt man das Entwerfen?

Standpunkt von Prof. Hans Dehlinger, Ph.D.

“Wie lernt man das Entwerfen?

Beim Versuch, das Entwerfen zu definieren, haben wir gesehen, daß es eine Vielzahl möglicher Definitionen gibt und daß man sich entscheiden muß, welche davon man unterschreiben will.

Ähnliches gilt, wenn man Modelle der Entwurfslehren betrachtet. Nicht selten sind an einer Hochschule unterschiedliche, ja sich widersprechende Auffassungen über die “richtigen” Methoden des Entwerfens anzutreffen. Das ist sogar wünschenswert, denn eine Schule ist desto besser, je vielfältiger (und extremer) die an ihr vertretenen Lehrmeinungen zum Entwerfen sind, sofern dieses Nebeneinander toleriert wird. Die sich daraus ergebenden Widersprüche sind dann eine ständige Herausforderung an die Studierenden, eigene Standpunkte zu formulieren, indem sie probeweise der einen oder anderen Lehrmeinung folgen, in Projekte eintauchen und versuchen, mit den angebotenen Hilfestellungen zurechtzukommen.

Zur Beantwortung der Frage, wie denn das Entwerfen zu erlernen sei, kann man versuchen, die Frage, was die Entwerfer können sollen und welche Fähigkeiten sie besitzen sollten, zunächst zu stellen und dann zu überlegen, welche Modelle sich anbieten, diese Fähigkeiten auszubilden. So will ich auch vorgehen.

Fähigkeiten, über die Entwerfer verfügen (verfügen sollten):

  1. Ganz vorne in dieser Liste steht das “Entwerfen” selbst. Hier liegt das eigentliche Feld der Expertise zum Beispiel eines Produkt-Designers, eines Architekten oder Planers. Letztlich zielt die ganze Ausbildung darauf ab, jenes Wissen und jene Fähigkeiten zu entwickeln, auf deren Basis man Problemen mit entwerferischem Denken und Handeln entgegentreten kann. Entwerfen, wie es hier gemeint ist, geht weit über das Entwerfen von Objekten hinaus. Es gibt eine große Klasse von Problemen, die sich als Entwurfsprobleme darstellen lassen und die mit den Methoden des Entwerfens vorteilhaft zu bearbeiten sind.Wir werden später, wenn wir über Wissen und Wissensarten reden, noch etwas genauer auf das “entwerferische Denken und Handeln” eingehen.
  2. Werden die Entwürfe realisiert, haben sie in vielfältiger Weise Auswirkungen auf Menschen. Das muß der Entwerfer sich ständig vor Augen halten. Es ist seine Pflicht, sich Gedanken über die Konsequenzen seiner Entwürfe auf Menschen zu machen, die davon betroffen sind. Die Analyse des menschlichen Verhaltens, die Erfordernisse des menschlichen Körpers, seine Maße, seine Möglichkeiten und Begrenzungen gehören zu den Anforderungen aus seiner Arbeit. “Vom Brauchen der Dinge haben wir auszugehen” – so hat Wilhelm Wagenfeld das einmal formuliert.
  3. Der Entwerfer braucht Fähigkeiten, Ideen, Konzepte, Pläne usw. adäquat darzustellen. Er braucht Methoden der Darstellung, um seine Ideen sich und anderen vorzustellen. Es ist die Sprache der schnellen räumlichen Skizzenreihe, der körperhaften Zeichnungen, der skizzenhaften dreidimensionalen Arbeitsmodelle, der systematischen morphologischen Variationen, der Sprünge zwischen Detailüberlegungen und ganzheitlichem Vorgehen, zwischen gedanklicher Schärfe und künstlerischer Sensibilität. Es ist das mühelose Wechseln zwischen den unterschiedlichsten Medien, die flüssige Beherrschung dieser “Sprache” von der größten Bedeutung.
  4. Der Entwerfer braucht Kenntnisse über Materialien und die Methoden ihrer Verarbeitung. Eigentlich ist vor seinem neugierigen Zugriff kein Material sicher. Neben den wichtigsten Grundmaterialien und ihrer Eignung für bestimmte Anwendungen wird er sich, je nach Studienschwerpunkt, vertiefte Kenntnisse besonderer Materialien sowie der Maschinen, Werkzeuge und Geräte aneignen, die in der Serienfabrikation der rationellen Bearbeitung dieser Materialien dienen. Gute Entwürfe zeichnen sich immer dadurch aus, daß sie ein Material kenntnisreich verwenden. Mit der Erkenntnis, daß die Ressourcen dieser Welt begrenzt sind, daß es für Mensch und Umwelt schädliche Stoffe und Prozesse gibt, gilt auch für den Designer: Du sollst nicht alles machen, was machbar ist.
  5. Er muß beoachten, wahrnehmen können und in der Lage sein, dies zu artikulieren. Dabei verliert er seine Naivität. Das ist wie in einem der Nachtcafé-Gedichte von Gottfried Benn:
    “… Fett im Haar
    spricht zu offenem Mund mit Rachenmandel
    Glaube, Liebe, Hoffnung um den Hals
    Junger Kropf ist Sattelnase gut
    Er bezahlt für sie drei Biere / …”
  6. Er muß fähig sein, Selbstvertrauen in seine Fähigkeiten zu entwickeln. Es liegt in der Natur von Entwurfsproblemen, daß sie Eigenschaften haben, die dazu führen, daß jeder Entwurf zu einer persönlichen Herausforderung mit der Möglichkeit des Scheiterns wird. Trost findet sich hierzu beim Verstand über die theoretischen Zusammenhänge und bei der Intuition über die künstlerische Kreativität dann, wenn man beide sorgfältig ausgebildet hat.
  7. Er muß zu dem geschichtlichen und kulturellen Erbe, in dessen Tradition er steht, eine Beziehung entwickeln und versuchen, Zusammenhänge aus der Kulturgeschichte zu verstehen. Er muß wollen, seine Arbeit in die zeitgenössischen Zusammenhänge einzuordnen.”

Weiter mit den Modelle für das Lehren/Lernen des Entwerfens

Dieser Beitrag ist dem Skript der Lehrveranstaltung “Einführung in die Grundlagen und Methoden des Planens und Entwerfens” von Prof. Hans Dehlinger entnommen. Dehlinger selber schreibt auf seiner Homepage zu dieser Veranstaltung, die er bis 2004 hielt: “Die Lehrveranstaltung ist für Studierende des Produkt-Design konzipiert (…) . Obwohl ursprünglich nur als Pflichtfach für Designer vorgesehen, ist die Lehrveranstaltung seit einigen Jahren in den Aufbaustudiengang Innovationsmanagement integriert, und sie kann ebenfalls von Studierenden anderer Fachbereiche (z.B. Architektur, Stadt- und Landschaftsplanung u. a.) belegt werden. Der Stoff der Vorlesung geht inhaltlich auf den Kurs Arch 130 (Rittel und Protzen) der Architekturabteilung der University of California, Berkeley, und der entsprechenden Lehrveranstaltung an der Universität Stuttgart (Rittel) zurück. Ich hatte über viele Jahre das Privileg, an beiden Universitäten in dieser Lehrveranstaltung mitzuwirken.” Die benannten Kurse in Berkley und Stuttgart wurden in den 70er Jahren gehalten. Der Autor selber hat 1994 an der Lehrveranstaltung als Student und später als Mitarbeiter teilgenommen.

Skript der Veranstaltung hier >>, Verfasser Prof. Hans Dehlinger, Ph.D., zuletzt aufgerufen am 3.11.2013
direkt zum Frame Lernen / Lehren des Entwerfens deeplink >>

Philip Zerweck

Autor, Produktentwickler, Designlehrer und Designwissenschaftler

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