Designdidaktik

Ein Projekt zur Förderung und Forderung einer Fachdidaktik für die Lehre des Design.

Gedanken zur Designlehregraue Literatur

Soziale Herkunft im Design?

Bereits im Artikel >>Soziale Herkunft zählt für Professoren im Bereich Kunst, Musik wurde das Thema des akademischen Aufstiegs beleuchtet. Dort jedoch im Zusammenhang mit der Herkunft der Professoren*innen. Nun gibt es mit dem im Herbst erscheinenden Hochschul-Bildungs-Report eine neue Studie des Stifterverbands und der Unternehmensberatung McKinsey, der vorab in der ZEIT in dem Artikel Soziale Herkunft: Mehr Luft für den Aufstieg besprochen wurde. Daher frage ich:

Soziale Herkunft im Design?

 

Zusammengefasst schleppt sich die soziale Ungleichheit hartnäckig von der Grundschule bis zur Promotion. Eine kleine Wissenselite reproduziert sich erfolgreich selbst, schreibt die ZEIT.

(Dieser Beitrag wird nach öffentlichem Erscheinen des Reports bearbeitet werden).

Nach Zahlen (Quelle: ZEIT) schaut das so aus:

Kinder von Nichtakademikern Kinder von Akademikern (mindestens ein Elternteil)
Kinder nach Grund- und Sekundarstufe I 1.000.000 (100%) 200.000 (100%)
Jugendliche an Schulen für Hochschulzugang (44%) (78%)
Studienanfänger (21%) (74%)
erfolgreiche Absolventen mit Bachelor (15%) (63%)
erfolgreiche Absolventen mit Master (8%) (45%)
erfolgreiche Absolventen einer Promotion 10.000 (1%) 20.000 (10%)

Viele Fragen fallen einem dazu ein, vor allem, weil der Report noch nicht veröffentlicht wurde. Die Analysen des ZEIT-Artikels sind jedoch mit dem Wissen vieler anderer Studien nicht ganz nachzuvollziehen (insbesondere die zum Thema Geld nicht).

Zwei brennende Fragen zur Methodik

Warum hat man den elitären Anteil des echten Bildungsbürgertums nicht untersucht? Wir wissen aus vielen Studien, dass es in den 70er Jahren nach harten Diskussionen im Zuge der 68er und den erfolgten Hochschulreformen und -neugründungen einen massiven Anstieg der Studierendenzahlen gab. Dieser Anstieg war exakt politisch so gewollt und rekrutierte sich aus den Kindern der damals ca. 92% Nichtakademiker. Ressourcenverschwendung war in der gesellschaftlichen Debatte zu der Zeit bereits ein starkes Argument. Heute Studierende / Promovierende sind Kinder der Alterskohorte(n) die nach 1972 ihren Bildungsweg beschritten, aber Enkel derer davor. Auch ist aus anderen Forschungen bekannt, das die soziale Mobilität zum Ende des letzten Jahrhunderts deutlich abnahm, da sich zunehmend Akademiker untereinander ehelichten bzw. gemeinsam Eltern wurden. Unterscheiden sich Kinder der Bildungsaufsteiger (erste Akademiker in der Familie), bzw. von gemischten Paaren signifikant von Kindern aus einem angenommenen Bildungsbürgertum (beide Elternteile Akademiker und / oder 2. Generation Akademiker)? Von den Kindern der Nicht-Akademiker und den Kindern der Akademiker (ein Elternteil) sollten daher noch die Kinder der Akademiker (zwei Elternteile und / oder zwei Generationen) unterschieden werden. Denn diese bilden das (neue?) Bildungsbürgertum, in dem ein Universitätsabschluss so selbstverständlich ist, das eine klassische Berufsausbildung wie ein unverstandener, fremder Planet wirkt, also nicht in Betracht gezogen würde, selbst wenn es für das Kind besser wäre. Eine als gesellschaftlich positiv angenommene soziale Mobilität kann es schließlich nur geben, wenn es neben dem Bildungsaufstieg auch den Bildungsabstieg gibt und das ganze dann bitte wertfrei!

Die zweite Frage, auf die ich durch meine Veröffentlichungen und Vorträge des letzten Jahres gestossen bin, lautet: warum bzw. wie unterscheidet die nationale Bildungsforschung im Kontext der internationalen die Nichtakademiker mit sehr guter beruflicher Bildung von den Nichtakademikern mit schlechter beruflicher oder keiner beruflichen Bildung? Grundlage der Frage ist die mangelnde Resonanz der hervorragenden deutschen beruflichen Bildung (duales System) im internationalen Vergleich im Kontrast zur internationalen Politik, die stets einen höheren Studierendenanteil bei Jugendlichen fordert: in vielen Ländern ist ein Mensch ohne BA gleichbedeutend mit einem Menschen ohne berufsqualifizierenden Abschluss. Während in anderen Ländern auf der konkreten Ebene das deutsche duale System kopiert wird, wird es auf der theoretischen und politischen Ebene nicht entsprechend goutiert (siehe Artikel Duale Ausbildung: Die Azubis werden knapp in Literatur unten). Bedeutet das BA-Studium eines Kindes von Nichtakademikern, die jedoch z. B. den Meisterbrief haben, überhaupt einen Bildungsaufstieg? Bezogen auf das Design: ist das Kind mit einem BA in Mediendesign bildungstechnisch seinem*r Vater / Mutter voraus, wenn diese*r ein*e Setzer*in, Drucker*in, Druckvorlagenhersteller*in, Photoretuscheur*in, Photograf*in war / ist? Eine deutsche Ausbildung zum Mediengestalter Digital und Print (so die aktuelle Bezeichnung) ist formal im Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen (EQF) (und im identischen Deutschen Qualifikationsrahmen (DQR) ) als Stufe 4 eingruppiert, ein irischer, spanischer oder deutscher BA Mediendesign als Stufe 6, egal auf welcher Bildungseinrichtung. Formal ist der Meister dem BA sowohl im europäischen, als auch im deutschen Qualifikationsrahmen zwar gleichgestellt, aber ist das in der vorliegenden Studie / Bildungsforschung auch so abgebildet? Im ZEIT-Artikel wird das weder angesprochen, noch diskutiert, weswegen der deutsche Leser sicherlich davon ausgeht, dass Facharbeiter und selbst Meister zu den Nichtakademikern gezählt werden.

spezifische Fragen der Designdidaktik

Für uns als Interessierte der Designdidaktik sind konkret zweikommafünf Fragen relevant:

1a. Wie sieht es im Designstudium aus?
1b. Wie sieht es bei den Absolventen bzw. Designern im Beruf aus?
2. Haben die Eltern bereits einen designaffinen Job oder eine designaffine Ausbildung?

Zu 1: Im Designstudium fliegt man nicht raus oder wird rausgeprüft. Objektive Leistungen sind rar und Leistungsbewertungen selten. Ein Designstudium gibt man auf, wenn man das Gefühl hat, das man es nicht bringt bzw. nicht reinpasst. Ein Designstudium kann andererseits erst aufgenommen werden, wenn eine studiengangsinterne Fachkommission das Hineinpassen attestiert hat … offiziell heisst das die “Feststellung der künstlerischen Eignung”. Da als einer der Hauptgründe für eine soziale Selektion während des Studiums eben die psychologischen Herausforderungen des Milieuwechsels (siehe Frage 2) bzw. die “Unbewusste Selbstselektivität”  genannt wird (so der Fachausdruck), also das Gefühl nicht hineinzupassen, das Fremdheitsgefühl in der akademischen Welt, wäre die Frage relevant, ob durch die Aufnahmeprüfung vorab selektiert wird, bzw. wie stark die Selbstselektion während des Studiums wirkt, bei dem Fehlen von Leistungsnormen.

Zu 2: Diese Frage bedingt ebenfalls eine Selektion vor und während des Studiums. Sie ist aber auch relevant für eine andere Frage im Rahmen der Forschung zur Chancengleichheit respektive Ressourcenverschwendung: ist das mangelnde Wissen in der Menge der Studierwilligen zum Thema Design oder noch weiter Kultur- & Kreativwirtschaft bereits Kriterium? Das oder andere Selektoren sorgen zumindest dafür, dass sich im Design gefühlt eine sehr hohe Rate an Kindern von kultur-, entwurfs- und designaffinen Eltern findet. Wörtlich Architekten-, Künstler- und Designeltern.

Eine Besonderheit, die nicht laut, oft und deutlich genug zu nennen ist, ist der Fakt der speziellen Hochschulzugangsberechtigung für ein Designstudium: hier nennen die Gesetze (und die Praxis funktioniert auch so) zwei Wege: einerseits die (je nach Hochschulform gültige) Hochschulzugangsberechtigung, vulgo Abitur PLUS der Nachweis der künstlerischen Befähigung ODER ohne Abitur der Nachweis der besonderen künstlerischen Befähigung. Nach allen Erfahrungsberichten wird der Unterschied zwischen der einfachen und besonderen Befähigung zur künstlerischen Befähigung danach getroffen, was der Studieninteressierte benötigt. De Facto also braucht man zum Studium im Design kein Abitur zu haben. Ob diese formal geringere Herausforderung oder Andersartigeit der Herausforderung an den Bildungsweg eine soziale Selektion ist, kann niemand sagen, da es hierzu keine Untersuchungen gibt. Hat hierzu jemand Quellen, Erfahrungsberichte oder möchte einen Kommentar abgeben?

Forschungsaufruf und -beitrag

Ich würde gerne, neben der Diskussion über Reporte und Quellen etwas mehr herausbekommen. Steuern Sie doch bitte anonym Informationen über Sich, Ihre unmittelbare Umgebung oder sogar eine Studierendengruppe von Ihnen bei: schreiben Sie mir hier im Kommentarbereich oder per Mail anonymisiert nach folgendem Schema:

höchster, erreichter Abschluss
(0; 1; 5; 10; 15; 20; 25; 30; 40)
Bildung der Eltern
(0; 1; 2; 3)
Eltern designaffin
(0; 1)
Alterskohorte
(0; 1; 2; 3; 4; 5)
Designer A 30 3 1 2

formatieren Sie gerne wie folgt (Beispiel für 3 Personen):
A;30;3;1;2
B;20;1;1;4
C;15;1;0;3

Erläuterung zu:

höchster, erreichter Abschluss:
ohne jegliche formale berufliche Ausbildung = 0; keine berufliche Ausbildung, Studium abgebrochen = 1; berufliche Ausbildung, aber kein Studium begonnen = 5; berufliche Ausbildung, Studium abgebrochen = 10; im Studium BA = 15; erfolgreicher BA/FH = 20; im Studium MA/Uni.Dipl./Kunsth. = 25; erfolgreicher MA/Uni.Dipl./Kunsth. = 30; erfolgreiche Prom./Prof. = 40

Design ist keine geschützte Berufsbezeichnung und es gibt aktuell viele durchaus erfolgreiche Designer, die keinen Hochschulabschluss erreicht haben, oder nicht mal ein Studium angefangen haben. Viele kommen aus dem Handwerk, besitzen also eine berufliche Ausbildung. Daher diese Unterscheidungen und zwar genauer, als in der oben genannten Studie die Bildungsstufen differenziert werden. Eine weitere Besonderheit im Design ist die bisher oder weithin fehlende Möglichkeit der Promotion: daher wurde hier neben Promotion auch das Erlangen einer Professur als analog aufgenommen.

Bildung der Eltern
ohne formalen Berufsabschluss = 0; beruflicher Abschluss = 1; Akademiker (ein Elternteil) = 2; Bildungsbürger (zwei Elternteile und / oder 2. Generation) = 3
beruflicher Abschluss: jeder mit einem Berufsabschluss, der im EQF / DQR als Stufe 4 eingruppiert ist, d. h. Duale Berufsausbildung und Berufsfachschule mit Berufsabschluss mit dreijähriger oder dreieinhalbjähriger Ausbildungszeit
Akademiker: jeder, der im EQF / DQR für lebenslanges Lernen als Stufe 6 oder höher eingruppiert ist, d. h. Bachelor, FH-Diplom bzw. Diplom I, staatlich geprüfter Techniker / Gestalter / Geprüfter Meister / Fachkaufmann / Fachwirt / Operativer Professional & Staatlich anerkannter Erzieher o. ä. oder höher.

Eltern designaffin
nein = 0; ja (Designer, Architekten, Grafiker, Künstler, Musiker, Retuscheur, Drucker, Photograf, Kunsthandwerker o.ä. auch abgebrochene Studien und ernsthafte Nebenbeschäftigungen mit und ohne Erwerbsabsichten) = 1

Alterskohorte
(Geburtsjahr vor 1951 = 0, 1951-60 = 1; 1961-70 = 2; 1971-80 = 3; 1981-90 = 4; nach 1990 = 5)

Persönliches

Zu meinen persönlichen Erfahrungen: Ich weiss worüber ich schreibe. Ich war der erste meiner Familie nach 2 Generationen, der eine Lehre gemacht hat. Seit 3 Generationen haben alle, Männer wie Frauen und seit mindestens 4 Generationen alle Männer einen Berufsabschluss erreicht, der dem heutigen Level 6 EQF oder höher entspricht. Gleichzeitig bin ich in einem extrem designaffinen Haushalt aufgewachsen. In meinem engsten Kreis befinden sich aber auch Akademiker die Kinder von Nichtakademikern sind und deren Aufstiegssorgen ich kenne. Jedem jungen Menschen die Chance der Lebensgestaltung geben, die ihn glücklich machen kann und die dadurch der Gesellschaft die richtigen Menschen an den richtigen Stellen beschert, das ist mein Ideal.

Literatur:

Soziale Herkunft: Mehr Luft für den Aufstieg von Astrid Herbold, Louisa Reichstetter und Anna-Lena Scholz
Leistung entscheidet? Nein, für den Bildungserfolg ist das Elternhaus viel wichtiger. Selbst an der Uni macht sich das bemerkbar. Das belegt eine neue Studie.
erschienen in der ZEIT Ausgabe 22/2017, online 23. Mai 2017
>> Artikel auf ZEIT Campus

Duale Ausbildung: Die Azubis werden knapp von Nadine Oberhuber
Die deutsche Berufsausbildung gilt weltweit als Erfolgsmodell. Doch in Deutschland ist das duale System in Schwierigkeiten.
erschienen am 22. Mai 2017 auf ZeitOnline
>> Artikel auf ZON

Soziale Herkunft zählt für Professoren im Bereich Kunst, Musik von Philip Zerweck
erschienen online 12. Februar 2015
>> Artikel auf designdidaktik.de

Philip Zerweck

Autor, Produktentwickler, Designlehrer und Designwissenschaftler

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