Designdidaktik

Ein Projekt zur Förderung und Forderung einer Fachdidaktik für die Lehre des Design.

Gedanken zur Designlehre

Von nichtig bis wichtig: Über die Auseinandersetzung mit Werten in der Designausbildung

Kein Philosoph in Sicht? Dann übernehme ich jetzt. Gestatten: Raap, Designerin.

1.
Wertewandel, Wertepluralismus, Werteverlust
– der Begriff des Wertes wird in vielerlei Arten in vieler Designer Munde geführt. Er lässt den Sprecher souverän und von gewisser Ernsthaftigkeit erscheinen und ist doch konturlos genug, um das Gefühl übereinstimmender Meinung im Raum entsstehen zu lassen. Ja, Werte sind wichtig, wer wolle das bestreiten. Von Werten zu reden, ohne diese im Weiteren konkret zu benennen, ist gesellschaftlich durchaus akzeptiert. Aber welcher dieser eloquenten Redner wäre fähig, seine ureigenen Werte ebenso zungenfertig zu beschreiben?

2.
Die Auseinandersetzung mit dem Thema Werte ist in der Designausbildung unumgänglich. Da sind etwa die projektbegleitenden Diskussionen, die sich anhand von greifbaren Entwürfen mit Werten und Wertekomplexen befassen, oder designgeschichtliche Erörterungen dessen, was Designer X im Jahre Y im Sinn hatte, als er Produkt Z entwarf. Beides fraglos etablierte und wichtige Elemente der Hochschullehre. Jedoch sehe ich, dass diese Elemente oftmals nicht ausreichen, um die Studierenden zu befähigen, sich ausreichend präzise über Werte auszutauschen. Dieser Austausch aber ist die Voraussetzung, sich seiner persönlichen Werte bewusst zu werden und diese als Maßstab und zur Orientierung des eigenen Handelns einzusetzen. Eine solch belastbare Orientierung wiederum bildet die Basis für ein selbstbewusstes Auftreten im beruflichen Kontext: dem „Standing“, welches man benötigt, um als Designer konstruktiv mit anderen Disziplinen zusammenzuarbeiten zu können, seine Interessen und die des Designs zu vertreten, kurzum verantwortungsbewusst seinen Teil zu Entscheidungsfindungen beizutragen.

3.
Was ist eigentlich ein Wert? Bereits bei der Begriffsverwendung wird oft nicht sauber getrennt, weder im Denken noch im Formulieren. So werden in Diskussionen Wertbegriffe aus dem wirtschaftswissenschaftlichen Kontext mit Größenwerten und ethischen Werten ungewollt verquirlt. Daher ist es immer interessant, unterschiedliche Definitionen des Terminus Wert zu erläutern oder etwa mit den Studierenden den Unterschied zwischen Tauschwert und Gebrauchstwert zu dikutieren. Richtig spannend wird die Sache aber erst – und hier packt es erfahrungsgemäß auch die letzten –, wenn man sich im Design den ethischen Werten zuwendet. Gibt es objektive Werte, die für alle Individuen gelten? Oder kann man lediglich von subjektiven Werten ausgehen, die ein Individuum oder eine Gruppe von Menschen für sich als gültig anerkennt. Dieses Anerkennen der Gültigkeit von Werten ist ein ganz zentraler Punkt. Erstens weist er bereits darauf hin, dass Werte nicht einfach „existieren“, also vorhanden sind oder nicht, und zweitens, dass man sinnvolle Bereiche definieren kann, für die man Werte diskutiert. Sobald der Student bestimmte Werte für sich als gültig anerkennt, sie sich also zu eigen macht, entsteht aus ihnen eine Anspruchshaltung. À la „Wenn das meine Werte sind, sollte ich konsequenterweise eher in dieser als in jener Weise agieren“. Er orientiert sein ganz persönliches Handeln, aus seinen Werten und seinem Wollen erwächst ein Sollen. Ein anschauliches Beispiel: Besprechen Sie mit Ihren Studierenden unterschiedliche Umweltanschauungen, etwa den Anthropozentrismus (der Mensch und seine Interessen stehen im Zentrum), den Ökozentrismus (das Ökosystem als Ganzes hat Priorität) etc.. Durch diese Thematisierung werden Werte, die vielleicht schon latent vorhanden waren, bewusst überlegt und können zur Grundlage des entwerferischen Handelns werden. Weitere Übungen können sein, Leitbilder von realen Firmen zu analysieren, sich den Codex des VDID vorzuknöpfen oder Wertevorstelllungen im Bereiche der Ästhetik gründlich unter die Lupe zu nehmen.
Es ist meines Erachtens die vorrangige Aufgabe des Lehrenden, sein Möglichstes zu tun, den Studierenden weg von einem diffusen Gefühl hin zu einer kommunizierbaren, und somit diskutierbaren, Haltung zu führen. Wie diese Haltung aussieht und wie sie sich inhaltlich entwickeln wird, liegt jedoch ganz beim Studierenden.

4.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Wenn ich davon spreche, dass die angehenden Designer, ihre Werte und ihre Haltung kommunizieren können sollen, meine ich nicht, dass sie diese in vorgefundene Worthülsen pressen, welche ihren Aussagen lediglich den Anstrich der Präzision geben. Vielmehr erwarte ich von den Studierenden intellektuell redliche Bemühungen sich ihrer Werte klar zu werden und diese zu kommunizieren, ganz gleich ob in Worten oder Bildern. Dieses Fassen von Werten kann bisweilen sehr präzise gelingen, aber gerade im Bereich des Gestaltens, kann, darf und muss es „unscharfe“, also noch nicht bestimmte Bereiche geben. (Näheres hierzu in meinem Artikel „Wachsames Torkeln“: http://www.raap-design.de/prz_wt.html).

5.
Die detaillierte Auseinandersetzung mit Werten, sowohl im Stillen als auch im Austausch mit Kommilitonen, lotst die Studierenden zur Reflexion. Ergeben die Werte, die sie in verschiedenen Bereichen feststellen konnten, in ihrer Gesamtheit betrachtet ein stimmiges, kohärentes Bild? Stimmt ihr Handeln mit ihren Wertvorstellungen überein? Wollen sie vielleicht nachjustieren?
Gehen Wertvorstellungen und Handeln überein, verhält man sich integer – der hässliche Gegensatz lautet übrigens korrumpierbar, dessen sollte man sich bewusst sein. Diese persönliche Integrität, ist nicht nur eine Forderung des philosophischen Humanismus, sondern bietet ganz praktische Vorteile: Hat man eine Vorstellung von den eigenen Werten, lassen sich Entscheidungen leichter treffen. Die eigene Überzeugungskraft steigt und hieraus resultierend der Einfluss auf das Geschehen. So ungern ich es zugebe: Oft höre ich von Designstudierenden und praktizierenden Designern Sätze wie „das habe ich nicht zu entscheiden“ oder die „Vorgaben bekommen wir aus der Marketingabteilung“. Ja, sind wir Designer denn Opfer? Wir Designer haben uns quasi per Berufswahl dem Schaffen von Neuem verschrieben und damit eine Verantwortung übernommen. Zwar mag es sein, dass bei Entscheidungen das letzte Wort ein anderer spricht, aber ich sehe die Verpflichtung des berufsmäßigen Gestalters, seine Ansichten deutlich kundzutun: nicht destruktiv blockierend, sondern um seinen Teil konstruktiv zu Entscheidungsprozessen beizutragen. Und für eben diesen Beitrag braucht es eine Vorstellung der eigenen Werte. Ohne geht es einfach nicht.

Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Werte/Wertvorstellungen“ lässt sich wunderbar mit Themenbereichen wie „Urteilen und Entscheiden“ oder „Designers Ethik“ ergänzen oder kombinieren.

Abschließend sei noch gesagt: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit, verzichte ich in längeren Artikeln bei allgemeinen Bezeichnungen wie „Philosoph“, „Designer“ etc. auf die Nennung der männlichen und weiblichen Form, es sei denn sie fügt sich mühelos ein, wie etwa die Bezeichnung „Studierende“. Handelt es sich jedoch um konkrete Personen, wird selbsverständlich gegendert.

Heike Raap

Heike Raap ist praktizierende Designerin und Dozentin. Sie studierte Produktdesign und Visuelle Kommunikation an der Universität Kassel. Dort forschte sie zudem von 1999 bis 2003 als künstlerisch-wissenschaftliche Mitarbeiterin im Schwerpunkt Industriedesign. Heike Raap lehrt und lehrte an verschiedenen Hochschulen und Bildungsinstitutionen: Universität Kassel, University of Lapland (FIN), TU Dresden, Universität Vechta, Fachhochschule Schwäbisch Hall, Hochschule Heilbronn, SRH Hochschule Heidelberg, Stiftung Deutsches Design Museum u.a..

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